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Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 10. August 2019

Nachdem die im Zuge der gescheiterten Pkw-Maut und der Kündigung der Verträge mit den Betreibern auf den Bund zukommenden Entschädigungszahlungen zunächst auf rund 500 Millionen Euro geschätzt wurden (FAZ, Das Aus der Maut könnte Hunderte Millionen Euro kosten, 22. Juli 2019), gehen die Grünen nun aufgrund neuer Informationen von mehr als einer Milliarde Euro aus (Deutschlandfunk, Grüne erwarten Kosten von mehr als einer Milliarde Euro, 8. August 2019). Nicht ersichtlich ist derzeit für die Steuerzahler*innen, wie sich dieses Ereignis in den Bundesfinanzen niederschlägt und wie die potenzielle Zahlungsverpflichtung konkret finanziert werden soll.

Wirft man einen Blick in den kürzlich im Bundestag verabschiedeten Bundeshaushalt 2020 sowie die Finanzplanung für die Jahre 2021 bis 2023, so fällt auf, dass die ursprünglich prognostizierten Netto-Einnahmen aus der Pkw-Maut (in 2020 in zweistelliger Millionenhöhe, ab 2021 i. H. v. 400 Millionen Euro) dort noch enthalten sind, nach der potenziellen Zahlungsverpflichtung des Bundes gegenüber den Betreibern sucht man hingegen in Haushalt- und Finanzplan sowie auch der Vermögensrechnung des Bundes vergeblich. Während die Einnahmenkorrektur zeitnah durch das BMF erfolgen soll, werden die potenziellen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Betreibern erst in den (zukünftigen) Jahren Berücksichtigung in Haushaltsplanung und Haushaltsrechnung finden, in denen die Zahlungen an die Betreiber tatsächlich zu leisten sind. Dies liegt daran, dass der Bund Einnahmen und Ausgaben nicht – analog zur unternehmerischen Rechnungslegung – im Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung erfasst (Doppik), sondern erst, wenn die korrespondierenden Zahlungen geleistet werden (Kameralistik). Würde der Bund, wie zunehmend gefordert, nach unternehmerischen (doppischen) Grundsätzen bilanzieren, so müsste in der dann aufzustellenden Bilanz des Bundes für das Jahr 2019 im Sinne einer möglichst vollständigen Darstellung des Vermögens und der Schulden eine ungewisse Verbindlichkeit (sog. Rückstellung) für die aus der gescheiterten Pkw-Maut drohenden Zahlungsverpflichtungen eingebucht werden. Gleichzeitig müssten die geschätzten zukünftigen Auszahlungen vollständig in 2019 in der Ergebnisrechnung (sog. Gewinn- und Verlustrechnung) in Form einer Aufwandsbuchung antizipiert werden. Dies hätte einerseits den Vorteil, dass die aktuelle Regierung, die den potenziellen Schaden verursacht hat, für die finanziellen Auswirkungen die Verantwortung übernehmen und Rechenschaft ablegen müsste (und diese nicht auf zukünftige unbeteiligte Regierungen abwälzen könnte). Andererseits wäre sichergestellt, dass die in zukünftigen Jahren zur Begleichung der potenziellen Schuld erforderlichen finanziellen Mittel bereits jetzt für diese Zwecke „reserviert“ sind und somit nicht zur Finanzierung anderer gegebenenfalls langfristiger Versprechen gebunden werden können. Wenn man bedenkt, dass der Bund jenseits des öffentlichen Auges eine Vielzahl ungewisser Verbindlichkeiten hat, die in der Vergangenheit verursacht wurden, aber – aufgrund der zahlungsbasierten Planung und Rechnung des Bundes – von zukünftigen Generationen zu tragen sein werden (z. B. die Verpflichtung zur Leistung von Entschädigungszahlungen im Zusammenhang mit dem Atomausstieg), ist die Einführung einer unternehmerischen (doppischen) Rechnungslegung, wie sie seit einigen Jahren von der EU-Kommission für alle Mitgliedstaaten propagiert wird, aus Gründen der Transparenz gegenüber den Bürgern sowie der Wahrung der intergenerativen Gerechtigkeit dringend zu fordern!

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 4. Juli 2019

Die seit 2011 im Grundgesetz zur Beschränkung der Staatsverschuldung verankerte Schuldenbremse ist jüngst in die Kritik gekommen. Ursächlich hierfür ist zum einen das von Bundesfinanzminister Scholz prognostizierte Haushaltsloch, das nach aktuellen Schätzungen bis 2023 Einsparungen im Bundeshaushalt in Höhe von insgesamt ca. 15 Milliarden Euro erfordert. Zum anderen werden zunehmend fehlende bzw. zu geringe Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere in den Bereichen Verkehr, Bildung, Digitalisierung und Umweltschutz, beklagt. In der Presse wurde jüngst berichtet, „Grüne stell[t]en die Schuldenbremse in Frage“ (Handelsblatt, 2. Juni 2019 und Süddeutsche Zeitung, 30. Mai 2019) bzw. würden gegen die Schuldenbremse vorstoßen (Tagesspiegel, 5. Juni 2019). Schaut man in den Debattenbeitrag „Investitionen sind wichtiger als das Symbol „schwarze Null“ der Grünen-Abgeordneten Danyal Bayaz und Anja Hajduk, auf den sich die Zeitungsartikel beziehen, zeigt sich ein anderes Bild. Dort wird nämlich propagiert, „die Schuldenbremse einerseits zu verteidigen, sie andererseits durch eine Investitionsregel zu ergänzen“.

Was steckt nun hinter der mutmaßlichen Kritik an der Schuldenbremse sowie an der schwarzen Null „als Symbol solider Haushaltsführung“? Zunächst einmal ist zu bedenken, dass die derzeitige Berechnung der schwarzen Null sowie auch der Schuldenbremse unvollständig ist. Dies liegt einerseits daran, dass Schulden, die in der Vergangenheit verursacht wurden, aber erst zukünftig zu Auszahlungen führen werden, unberücksichtigt bleiben. Darunter fallen bspw. die mit der im Herbst 2019 erwarteten Verabschiedung eines Gesetzes zum Steinkohleausstieg entstehende Verpflichtung zur Zahlung von Strukturhilfen im Rahmen des Kohleausstiegs i. H. v. 40 Milliarden Euro, die Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatz an Vattenfall im Zuge des Atomausstiegs (bis zu 5,7 Milliarden Euro) sowie die wahrscheinlichen Schadenersatzverpflichtungen gegenüber den Betreiberfirmen im Zuge der gescheiterten Pkw-Maut (nach aktuellen Schätzungen zwischen 300 und 700 Millionen Euro). Andererseits werden die aus den Sozialversicherungen (Kranken-, Unfall-, Renten-, Pflege, und Arbeitslosenversicherung) resultierenden milliardenschweren Verpflichtungen des Bundes, die zwar nicht Bestandteil des Bundeshaushalts sind, für deren ausreichende Finanzierung der Bund aber „haftet“, bei der Berechnung der Schuldenbremse nicht berücksichtigt. Zu Recht bezeichneten Abgeordnete der Grünen bereits in 2017 in einem Antrag „Öffentliches Vermögen erhalten, ehrlich bilanzieren, richtig bilanzieren“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11188) „[d]ie aktuelle Nullverschuldung [...] [als] Augenwischerei, weil „[d]ie Bundesregierung [...] Schulden [verstecke], anstatt sie transparent zu machen“. Auf der anderen Seite wird aber auch das Vermögen, das zu einem gewissen Grad Schuldendeckungspotenzial hat, sowie auch der Wertverzehr des Vermögens – anders als in der unternehmerischen Rechnungslegung – nicht erfasst. Aus Sicht der Grünen-Abgeordneten „verschleiert die Kameralistik [auf diese Weise] die tatsächliche Vermögenslage des Bundes“.

Auf dieser Grundlage der fehlenden Abbildung von Vermögen und impliziter Schulden setzt der Vorschlag der Grünen-Abgeordneten zur Erweiterung der Schuldenbremse an. Würde man das objektiviert nachweisbare Vermögen bilanziell erfassen und für Zwecke der Schuldenbremse anerkennen, so wären Investitionen ohne negative Auswirkung auf das Haushaltsergebnis (erfolgsneutral) durch Neuschulden finanzierbar. Welche Investitionen zu bilanzierungsfähigem Vermögen führen, hängt von dem zugrunde liegenden Bilanzierungssystem ab. Sowohl nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) als auch nach International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) würde hierunter regelmäßig Infrastrukturvermögen fallen, nicht aber Investitionen in immaterielle Werte, die dem Grunde und der Höhe nach schwer greifbar sind, z.B. Bildung und innere Sicherheit. Durch die bilanziell aufwandswirksame (das Haushaltsergebnis mindernde) Berücksichtigung planmäßiger sowie außerplanmäßiger Wertminderung der Vermögenswerte müssten die Schulden im Laufe der Nutzung allerdings auch getilgt werden; andernfalls würde die Finanzierung der Investitionen, von denen zunächst die aktuelle Generation profitiert, zukünftigen Generationen aufgebürdet werden (Verletzung des Grundsatzes der intergenerativen Gerechtigkeit). Ein weiterer Vorteil der „transparenten und ehrlichen Bilanzierung des öffentlichen Vermögens“ ist – so die Grünen-Abgeordneten – das Anzeigen von Investitionsbedarfen (wenn ein Vermögensgegenstand vollständig abgeschrieben und somit abgenutzt ist): „Aus dem offen gelegten Wertverzehr sind die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen“. Auch Fehlinvestitionen würden durch das Haushaltsergebnis mindernde außerplanmäßige Abschreibungen sichtbar gemacht und auf diese Weise sanktioniert werden.

Insofern ist die von den Grünen-Abgeordneten vorgeschlagene Ergänzung der Schuldenbremse nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Unbedingte Voraussetzung hierfür wäre aber zunächst die Einführung der unternehmerischen (doppelten) Buchführung!

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 24. Juni 2019

Nach dem in den vergangenen Tagen viel zitierten Interview von Katrin Göring-Eckardt mit der „Bild am Sonntag“ plädieren die Grünen für die Bereitstellung von zusätzlich mindestens 100 Millionen Euro zur Bewältigung der Klimakrise. Da die erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen „nicht einfach nebenbei aus dem Bundeshaushalt finanzier[t] [werden können]“, seien – so Göring-Eckart – die Mittel entweder durch Steuererhöhung oder Neuverschuldung aufzubringen. Nach Vorstellung von Göring-Eckart könnte durch die Einrichtung eines Klimafonds die Schuldenbremse umgangen und somit die Aufnahme neuer Kredite ermöglicht werden.

Dass Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise sinnvoll und notwendig sind, steht außer Frage. Zweifelhaft ist hingegen, ob diese eine Neuverschuldung jenseits der Schuldenbremse legitimieren. Eine Generationengerechtigkeit, wie sie sich die Grünen erhoffen, würde hierdurch nur scheinbar erreicht. Denn schließlich würde die Aufnahme neuer Kredite die Aufbringung aus Haushaltsmitteln (und die entsprechende Verdrängung anderer staatlicher Ausgaben bzw. Ausgabensteigerungen) nicht umgehen, sondern „lediglich“ in die Zukunft verschieben – zu Lasten zukünftiger Generationen, die weder für die Klimakrise verantwortlich sind, noch die politische Entscheidung zur Finanzierung der Klimaschutzmaßnahmen beeinflussen konnten.

Die Ausgliederung von Staatsausgaben in Sondervermögen (für die allerdings auch die Schuldenbremse gilt) wurde vom Bundesrechnungshof zuletzt in den Bemerkungen 2018 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes aufgrund der durch die „Töpfchenwirtschaft“ entstehenden Intransparenz kritisiert. Für den in 2010 eingerichteten und anteilig aus Bundeshaushaltsmitteln finanzierten Energie- und Klimafonds (EKFG) empfiehlt der Bundesrechnungshof entsprechend „für einen wirtschaftlichen, transparenten und koordinierten Mitteleinsatz“ und zur Erleichterung der Kontrolle durch das Parlament eine Integration in den Bundeshaushalt.

Man darf bei der Debatte um die Klima- und Umweltkosten nicht vergessen, dass der Bund in 2017 die deutschen Atomkraftwerksbetreibern von der risikobehafteten Verpflichtung zur Zwischen- und Endlagerung des Atommülls gegen Zahlung eines Einmalbetrags i. H. v. 24 Milliarden Euro befreit hat und auch in diesem Fall die Mittel am Bundeshaushalt vorbei geführt und an einen Fonds übertragen wurden. Während die Einmalzahlung in die Finanzstatistik des Sektors Staat in 2017 eingeflossen ist, sucht man nach der übernommenen Entsorgungsverpflichtung in der Vermögensrechnung des Bundes vergeblich. Diese Beispiele veranschaulichen, dass neben der Frage der generationengerechten Finanzierung der Umweltlasten auch Transparenz über die eingegangenen Umweltverpflichtungen für Zwecke der Kontrolle durch Parlament und Bürger ganz zentral sind.

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 03. März 2019

Im April 2018 hat Eurostat den Entwurf für ein EPSAS Conceptual Framework (EPSAS-Rahmenkonzept) veröffentlicht, der auf den Arbeiten der EPSAS Cell on Principles related to EPSAS standards basiert. Einer der Hauptzwecke des zukünftigen Rahmenkonzepts soll es sein, Konzepte und Definitionen für die Entwicklung, Übernahme und Veröffentlichung von EPSAS bereitzustellen und dabei Konsistenz der zu entwickelnden EPSAS-Einzelstandards mit dem Rahmenkonzept sowie zwischen den Einzelstandards zu gewährleisten (S. 4). Die Notwendigkeit eines EPSAS-Rahmenkonzepts als Deduktionsbasis für zukünftige EPSAS wurde in Deutschland seit Beginn der EPSAS-Diskussion stets betont, unter anderem in den vielen Publikationen des Hessischen Rechnungshofs unter Leitung von Dr. Nowak, dem Grundsatzpapier des Bund / Länder-Arbeitskreises EPSAS sowie einigen wissenschaftlichen Beiträgen.

Was die Inhalte angeht, ist der Entwurf des EPSAS-Rahmenkonzepts bezüglich der Berichterstattungs- und Abschlusszwecke sowie der qualitativen Merkmale im Wesentlichen dem IPSAS-Rahmenkonzept treu geblieben. Kleinere Abweichungen ergeben sich zum einen bei dem Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung („faithful representation“), der, anders als im IPSAS-Rahmenkonzept, Verlässlichkeit („reliability“) nicht ersetzt, sondern ergänzt. Zum anderen werden das Vorsichtsprinzip („prudence“) sowie der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise („substance over form“) im EPSAS-Rahmenkonzept explizit als Bestandteil der glaubwürdigen Darstellung genannt. Aus den Sitzungsprotokollen lässt sich schließen, dass die explizite Aufnahme der Verlässlichkeit und Vorsicht auf deutsche Bemühungen zurückzuführen ist. Nicht durchgesetzt werden konnte hingegen die von Bundestag und Bundesrat ebenfalls geforderte Verankerung des Objektivierungsgebots („objectivity“), weil dieses schon in dem Grundsatz der Nachprüfbarkeit („verifiability“) inbegriffen und eine Nennung deshalb redundant sei.

Die Frage, die sich nun viele stellen, ist, welchen Nutzen das EPSAS-Rahmenkonzept tatsächlich bringen wird, d.h., inwieweit die errungenen Ergänzungen zu dem IPSAS-Rahmenkonzept tatsächlich zur Eruierung des Abweichungsbedarfs von IPSAS und zur Formulierung konkreter EPSAS-Einzelstandards taugen. Die im Folgenden wiedergegebenen Erfahrungen mit Rahmenkonzepten aus der internationalen kaufmännischen Rechnungslegung müssen uns skeptisch stimmen.

Erfahrungen mit Rahmenkonzepten in der internationalen kaufmännischen Rechnungslegung

Nachdem die IFRS (damals noch IAS – International Accounting Standards) in den Anfangsjahren zunächst induktiv durch Übernahme existierenden nationaler Bilanzierungspraktiken viele Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte einräumten, sollte mit der Schaffung eines Rahmenkonzepts die Kehrtwende zu einer deduktiven Normermittlung eingeläutet und damit zu mehr Konsistenz innerhalb des IFRS-Systems beigetragen werden. Auch bei den US-GAAP wurde mit der Schaffung eines Rahmenkonzepts das Ziel einer konsistenteren Normsetzung, aber auch die Rationalisierung existierender Standards verfolgt. Darüber hinaus hatte man sich von einer kohärenten theoretischen Grundlage erhofft, sie könne die Standardsetzung vor politischem Lobbying schützen. Es wurde aber schon frühzeitig erkannt, dass ein axiomatisch-deduktiver Ansatz, der eine rein mechanische und werturteilsfreie Ableitung von Bilanzierungsstandards aus zuvor präzisierten Axiomen erlaubt, in der Rechnungslegung nicht realisierbar ist. Bspw. führte Macve (A Conceptual Framework for Financial Accounting and Reporting, 1997) hierzu aus, es sei „unrealistisch, von offiziellen Versuchen, ein “Rahmenkonzept” zu entwickeln, zu erwarten, sie könnten eine kohärente Basis für die Lösung von Bilanzierungsproblemen liefern. [...] Ein Rahmenkonzept, auch wenn es technisch korrekt ist, kann die politischen Probleme unterschiedlicher Interessen und Bedürfnisse auf Ebene von Einzelstandards nicht lösen“ (S. xxii; Übersetzung der Verfasserin). Weiterhin sind die Zielsetzungen und qualitativen Merkmale im IFRS-Rahmenkonzept oftmals unbestimmt, teilweise sogar widersprüchlich, so dass das Rahmenkonzept – folgt man Ballwieser (Rahmenkonzepte der Rechnungslegung: Funktionen, Vergleich, Bedeutung, DK, 2003) – nicht zur „Ableitung von Einzelregelungen […] im logischen Sinne, sondern nur [zu] einer Überprüfung im Sinne der Aussage ‘die Einzelregelung erscheint mit dem Rahmenkonzept als nicht gänzlich unvereinbar’“ geeignet ist (S. 344). Und auch gegen politisches Lobbying ist das Rahmenkonzept kein Schutzschild, weil die Boards gelegentlich im Rahmen des Standardsetzungsverfahrens die professionelle Logik kompromittieren müssen, um einen Konsens mit den Stakeholdern zu erzielen. Walton (Discussion of Barker and Teixeira, AinE, 2018) vertrat zuletzt die Meinung, das IASB solle aufgrund dieser Einschränkungen einen Richtungswechsel hinsichtlich der Bedeutung des Rahmenkonzepts einläuten und akzeptieren, „that its framework is not conceptual, but rather a set of prior agreed assumptions that inform practice“ (S. 199).

Der deutschen Rechnungslegungsphilosophie ist ein Rahmenkonzept völlig fremd und so musste auch der in 2002 unternommene Versuch des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC), ein Rahmenkonzept „Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung“ zu entwickeln, im Entwurfsstadium kläglich scheitern. Die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) sind – anders als IFRS und IPSAS – Rechtsnormen und als solche nach dem rechtswissenschaftlichen Methodenkanon, insbesondere der am Sinn und Zweck des Gesetzes orientierten teleologischen Auslegungsmethode, zu gewinnen und auszulegen. Anders als bei IFRS und IPSAS, bei denen es grundsätzlich für Bilanzierungssachverhalte mehrere Lösungen gibt, die sich mit dem Rahmenkonzept begründen lassen, das Rahmenkonzept zudem keinen Verbindlichkeitscharakter hat und sogar Inkonsistenzen mit dem Rahmenkonzept toleriert werden, kann es im GoB-System prinzipiell nur eine mit dem Gesamtsystem konsistente Bilanzierungslösung geben und auch nur diese ist rechtskonform.

Erfahrungen mit den IFRS-Endorsement-Kriterien

Bei der Übernahme von EPSAS sollen zukünftig gemäß dem Entwurf für ein EPSAS-Rahmenkonzept auch die aus dem IFRS-Endorsement bekannten Konzepte des „true and fair view“ sowie des „European public good“ eine Rolle spielen. Aber auch diese weisen ähnliche Probleme auf wie die Konzepte der IFRS- und IPSAS-Rahmenkonzepte. Bischof/Daske merkten in einer Studie „IFRS Endorsement Criteria in Relation to IFRS 9“ für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments in 2015 an: „Die Literatur hat sich nicht auf eine einheitliche Interpretation dieser Kriterien einigen können. Tatsächlich sind alle drei Kriterien naturgemäß unscharf und liefern den EU-Institutionen erhebliche Ermessensfreiheit im Endorsement-Prozess“ [...]. „Es ist vermutlich angemessen zu betonen, dass die bisherigen EU-Endorsement-Entscheidungen zu der öffentlichen Wahrnehmung geführt haben, dass der Prozess lediglich den nationalen Politikern die Möglichkeit bietet, sich ex-post zu involvieren [...] und ihre Interessen zu wahren“ (S. 6, S. 13, Übersetzungen der Verfasserin).

Implikationen für das EPSAS-Rahmenkonzept

Der Entwurf eines EPSAS-Rahmenkonzepts ist eine Mischung aus IPSAS-Rahmenkonzept und IFRS-Endorsement-Kriterien und weist somit die gleichen Mängel auf. Man gäbe sich aus deutscher Sicht einer Illusion hin, wenn man glaubte, dass man durch die symbolische Verankerung von „prudence“ und „reliability“ als zwei von vielen anderen, teilweise im Widerspruch hierzu stehenden Konzepten (z.B. „neutrality“) zu EPSAS gelangen wird, die dem Vorsichtsprinzip und Objektivierungsgebot nach handelsrechtlichem Verständnis folgen. Da der Entwurf eines EPSAS-Rahmenkonzepts sogar noch breiter ist als das IPSAS-Rahmenkonzept, wird sich damit so ziemlich jede Lösung vereinbaren lassen, mutmaßlich auch IPSAS in Reinform. Vor diesem Hintergrund ist meine Vermutung, dass das zukünftige EPSAS-Rahmenkonzept nicht als Deduktionsbasis im engeren Sinne, d.h. zur Ableitung konsistenter EPSAS-Einzelstandards genutzt werden wird („forward reasoning“), sondern eher zur retrograden Rechtfertigung und Legitimation von politisch motivierten Standardsetzungsentscheidungen („backward reasoning“; vgl. zu den Begrifflichkeiten Dennis, What is a Conceptual Framework for Financial Reporting, AinE 2018, S. 398). Dies birgt die Gefahr, dass die Transparenzfortschritte, die man sich durch die Orientierung an den IPSAS erhofft, zu Gunsten politischer Kompromisse teilweise eingebüßt werden. Und schreibt man am Ende die Anwendung der EPSAS nicht verbindlich vor, sondern nur als Empfehlungen oder Leitlinien, ist weiteren länderspezifischen Abweichungen Tür und Tor geöffnet und man würde auch das zweite Ziel des EPSAS-Projekts, die Vergleichbarkeit, einbüßen. 

Was sich bei dem IFRS-Endorsement-Verfahren als Schutz vor politischer Willkür und Einflussnahme bewährt hat, ist die Maßgabe, von dem Wortlaut der IFRS nicht abzuweichen, sondern ggf. – und dies auch nur in Ausnahmefällen – nicht akzeptable Teile eines Standards von der Übernahme auszuklammern (sog. „carve-outs“). Dies wäre aus meiner Sicht auch ein gangbarer Weg für EPSAS. Die aus Deutschland stark kritisierten Wahlrechte innerhalb der IPSAS könnte man vergleichbar zu den IFRS-carve-outs einschränken. In einem solchen Szenario wären die europäischen Stakeholder dazu angehalten, sich verstärkt in die IPSAS-Standardsetzungsverfahren einzubringen. Während sich die von den IFRS betroffenen deutschen Unternehmen rege an den IFRS-Standardsetzungsverfahren beteiligen, nimmt aus Deutschland bislang an den IPSAS-Verfahren nur das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) teil, obwohl derzeit viele zentrale und zukunftsweisende Projekte auf der Agenda stehen. Mehr direktes Engagement von den EU-Mitgliedstaaten wünscht sich auch das IPSASB selbst, wie in dem folgenden Zitat aus einem privaten Interview mit einem staff member zum Ausdruck kommt: “Europäisches Engagement wird gegenwärtig tendenziell über das EPSAS-Projekt ausgeübt. Und es gibt viele Verbindung mit dem IPSASB in diesem Projekt, so dass man annehmen könnte, sie denken, ihre Standpunkte können über die Working Group und die Cells gefiltert werden, um an das IPSASB zu gelangen. [...] Wir haben wesentlichen Input aus Frankreich erhalten, von CNOCP, aber aus anderen Teilen Europas waren die Beiträge eher variabel oder begrenzt.” (Übersetzung der Verfasserin)

Müller-Marqués Berger brachte die Notwendigkeit des Engagements auf Ebene der IPSAS auf dem IDW Symposion in Berlin mit folgendem Zitat auf den Punkt: „Wer EPSAS beeinflussen will, muss IPSAS beeinflussen!“ Es bleibt zu wünschen, dass dies auch die deutsche öffentliche Verwaltung möglichst bald realisiert und sich entsprechend engagiert.

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 28. Februar 2019

Auf dem IDW Symposion zu EPSAS am 18. Februar 2019 machte mich ein Teilnehmer nach dem Vortrag von Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), darauf aufmerksam, dass auf einer Folie die Einflussnahme der Wissenschaft auf EPSAS kritisiert worden sei. Mir war dies entgangen, weil Gatzer diese Folie (wie die meisten anderen Folien auch) gar nicht vorgetragen hatte. Auch wollte ich es nicht so recht glauben, weil 1.) die Wissenschaft in meiner Wahrnehmung bislang denkbar wenig Einfluss auf die Gestaltung von EPSAS hatte, und 2.) es aus meiner Sicht absolut wünschenswert wäre, wenn die Wissenschaft als objektives Gegengewicht zu Politik und Beratung mehr Einfluss hätte.

Im Zuge der Veröffentlichung der Vortragsfolien auf der Homepage des IDW habe ich es dann selbst nachvollziehen können: „Zu starker externer Einfluss (z.B. Wissenschaft, Beratungsunternehmen) auf die Ausgestaltung von EPSAS?“ (Folie 10).

Rolle der Beratungsunternehmen in der EPSAS-Gestaltung

Kurios fand ich zunächst, dass die Wissenschaft in einem Atemzug mit, und sogar noch vor, den Beratungsunternehmen genannt wird. Die implizite Kritik an dem zu großen Einfluss der Beratungsunternehmen ist zumindest zum Teil berechtigt. Es ist zwar nicht zu verneinen, dass die Politik auf fachliche Expertise angewiesen ist. Dies dokumentieren etwa die 683 Millionen Euro, die der Bund in 2018 gemäß „Der Spiegel“ für private „Beratungs- und Unterstützungsleistungen“ ausgegeben hat. In der aktuellen EPSAS-Diskussion ergibt sich externer Beratungsbedarf insbesondere deshalb, weil in vielen Mitgliedstaaten das für eine internationale doppische Rechnungslegung erforderliche Know-How schlichtweg nicht bzw. nicht hinreichend vorhanden ist. Dies gilt wegen der fortdauernden Verhaftung in der Kameralistik ganz besonders auf Ebene des Bundes und vieler Länder in Deutschland. So hat bspw. auch das BMF bereits die Dienste der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY durch Vergabe eines (bezahlten) Forschungsprojekts „Vergleich der International Public Sector Accounting Standards mit den Standards staatlicher Doppik“ in Anspruch genommen. Auf EU-Ebene ist der Einfluss der Beratungsunternehmen ungleich stärker: Im Auftrag von Eurostat haben die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften EY und PwC bereits mehrere Studien zu IPSAS/EPSAS erstellt, die Grundlage für zukünftige EPSAS-Einzelstandards (ebenfalls im Auftrag von Eurostat) in Form von EPSAS Issue Paper gelegt und damit sicher auch die aktuelle Tendenz, EPSAS möglichst nah an den IPSAS zu halten, beeinflusst. Die gefühlte Dominanz der WP-Gesellschaften in diesem Prozess wurde nicht nur in Deutschland kritisiert. Michel Prada, Vorsitzender des französischen Standardsetzers für öffentliche Haushalte, brachte das Problem in einem privaten Interview auf den Punkt:

 „Wir brauchen Experten aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, sie sind exzellente Fachleute und bringen Expertise mit. Aber das ist eine Sichtweise, eine andere ist es, sich bei der Befassung mit öffentlich-rechtlichen Themen komplett auf privatwirtschaftliche Unternehmen zu verlassen [...], die keine klare politische Legitimität haben [...]. Dies muss neu ausbalanciert werden, wir brauchen diese Experten, wir brauchen ihren Input, wir brauchen ihr Wissen, aber wir brauchen eine europäische Führung und Koordination auf Ebene des öffentlichen Sektors.” (Übersetzung der Verfasserin) 

Rolle der Wissenschaft in der deutschen (kaufmännischen) Rechnungslegungstradition

In Deutschland hat die normative Bilanztheorie und -forschung, d.h. die Ableitung von Bilanzierungsprinzipien aus dem Sinn und Zweck der Bilanz und die wertende Konkretisierung von Einzelnormen als Wissenschaft, eine lange Tradition. Gemäß Schneider (Geschichte betriebswirtschaftlicher Theorie, 1981) stellen die Ergebnisse der normativen Bilanzforschung „[i]m Weltmaßstab die einzigen originären Beiträge der deutschsprachigen Betriebswirtschaft in der ersten Hälfte [des letzten Jahrhunderts]“ dar (S. 137). Schmalenbach prägte mit seiner dynamischen Bilanztheorie Mitte des 20. Jahrhunderts nicht nur die nationale Bilanzierungspraxis und -rechtsprechung, sondern auch die Wissenschaft und Standardsetzung in anderen Ländern, wie z.B. in Schweden und den USA. Mit der „statischen Wende“ Ende der 1960er Jahre übernahm diese Rolle Moxter, der – sozusagen Hand in Hand mit den berühmten BFH-Richtern (u.a. Beisse und Döllerer) – ganz wesentlich zur Systematisierung des deutschen Bilanzrechts beitrug. Auch die Gesetzgebung, insbesondere im Rahmen der Aktienrechtsreform 1965 sowie des Bilanzrichtlinien-Gesetzes 1985, wurde eng von der Wissenschaft begleitet.

Die anglo-amerikanische Rechnungslegung ist hingegen traditionell in Form der privaten Standardsetzung vom Berufungsstand der Wirtschaftsprüfer dominiert. Und auch die Rolle der Wissenschaft ist zur Blütezeit der normativen Forschung in Deutschland in den anglo-amerikanisch geprägten Systemen eine andere gewesen: Aufgrund ihrer Abhängigkeit von Werturteilen wurde die normative Forschung ab den 1970er Jahren in den USA durch die empirische Kapitalmarktforschung verdrängt. Normative Arbeiten galten von da an als „standard setting“ und nicht mehr als „academic research“. Dieser Trend in der Wissenschaft ist mit der zunehmenden Verbreitung der International Financial Reporting Standards (IFRS) zu Beginn des 21. Jahrhunderts ebenfalls nach Deutschland übergeschwappt. Darüber hinaus hat auch die private Standardsetzung in gewissen Grenzen bei uns Einzug erhalten (DRSC mit der Kompetenz der Konkretisierung von Konzern-GoB; Gremium zur Standardisierung des staatlichen Rechnungswesens). Und auch die Gesetzgebung ist deutlich mehr dem Einfluss von Beratungsunternehmen ausgesetzt. Bestes Beispiel ist wohl das Bilanzrechtmodernisierungsgesetz (BilMoG) 2009, das, so hört man, überwiegend von Vertretern von WP-Gesellschaften geschrieben wurde.

International wird mittlerweile der entstandene Gap zwischen Forschung und Standardsetzung zunehmend bemängelt, nicht nur in der Wissenschaft selbst (z.B. Singleton-Green, The Communication Gap: Why Doesn’t Accounting Research Make a Greater Contribution to Debates on Accounting Policy?, AinE 2010, S. 129 ff.), sondern auch von den Standardsetzern. Bspw. organisiert das IASB seit 2014 jährlich gemeinsam mit einer internationalen Fachzeitschrift ein Research Forum, bei dem neuste Rechnungslegungsforschung, die von Relevanz für die Standardsetzung des IASB ist, präsentiert und von Wissenschaftlern und Standardsetzern gemeinsam diskutiert wird. Auf der anderen Seite ist der Kreis derjenigen, die die private Standardsetzung beeinflussen, inzwischen deutlich breiter und man kann zumindest formal betrachtet nicht mehr von einer Dominanz der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sprechen. Dieser Trend ist auch aktuell beim IPSASB erkennbar.

Weitgehende Abstinenz der Wissenschaft in der öffentlichen Rechnungslegung

Im Gegensatz zur langen Tradition der wissenschaftlichen Begleitung des kaufmännischen Rechnungswesens war die Wissenschaft in Bezug auf die öffentliche Rechnungslegung in Deutschland lange Zeit faktisch abstinent. Z.B. wurde von Ferjanic (Die modern Allgemeine Kameralistik, 1941) beklagt: „Die Wissenschaft hat das Gebiet der Kameralistik recht stiefmütterlich behandelt [...], [w]ährend die organisationstechnische Gestaltung der doppelten kaufmännischen Buchführung eine umfassende Literatur aufzuweisen hat [...]“ (Vorwort). Und auch nach Winckelmann (Kameralistische und kaufmännische Rechnungslegung, 1950) hat die Kameralistik, „von wenigen Ausnahmen abgesehen, abseits von wissenschaftlicher Forschung und fachlichem Meinungsaustausch ein stilles, aber beharrliches Eigenleben geführt“ (S. 21).

Erst mit Beginn der Reform des kommunalen Rechnungswesens in den 1990er Jahren brachten sich einige wenige Professoren, zu nennen sind hier insbesondere Prof. Budäus und Prof. Lüder, in die Debatte ein und trieben die Einführung der doppelten Buchführung voran. Breitere Aufmerksam erlangte die öffentliche Rechnungslegung in der wissenschaftlichen Betätigung deutscher Universitätsprofessoren aber erst mit dem EPSAS-Projekt der EU-Kommission. International beschäftigen sich Wissenschaftler in erster Linie in denjenigen Ländern mit der öffentlichen Rechnungslegung, die bereits die Doppik eingeführt haben. Auch die Befassung mit IPSAS und EPSAS hat in der internationalen Literatur bereits begonnen, es handelt sich aber noch um ein Nischenthema. Man erkennt dies etwa daran, dass von den auf der Jahrestagung der European Accounting Association (EAA) 2018 in Mailand präsentierten Forschungspapieren nur zwei oder drei von über 1000 IPSAS zum Gegenstand hatten, keines der Papiere befasste sich explizit mit EPSAS.

Beteiligung der Wissenschaft ist keine Bedrohung, sondern eine Chance!

Obwohl sich sowohl das IPSASB als auch Eurostat nach meiner Erfahrung um fachlichen Input Seitens der Wissenschaft bemühen, ist für mich in keinster Weise ersichtlich, dass die Wissenschaft bislang einen wesentlichen Einfluss auf das EPSAS-Projekt ausgeübt hat. Angesichts der langen und guten Tradition des Zusammenspiels von Wissenschaft und Normgebung in Deutschland finde ich das sehr bedauerlich. Ich meine, die wissenschaftliche Begleitung des Projekts sollte nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrgenommen werden. Sie könnte als objektives Gegengewicht zum fachlichen Input der Beratungsgesellschaften sowie dem politischen Lobbying der Mitgliedstaaten für mehr Ausgewogenheit im EPSAS-Verfahren sorgen.

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 26. Februar 2019

Am 18. Februar 2019 fand das zweite IDW Symposion zu EPSAS in Berlin statt. Wie schon in 2015 war eine Bandbreite an unterschiedlichen Akteuren – u.a. Vertreter aus der Politik, Regulierer, Aufsteller sowie Vertreter der Wirtschaftsprüfung und Wissenschaft – geladen.

Im ersten Teil der Tagung wurde der deutsche Beitrag aus politischer Sicht in Kurzvorträgen und einer anschließenden Podiumsdiskussion reflektiert. Dr. Ingeborg Gräßle (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, berichtete von den sehr positiven Erfahrungen der EU-Parlamentarier mit dem nach EPSAS erstellten „Jahresabschluss“ der EU-Kommission, die sie auf eine deutliche höhere Transparenz und somit auch Haushaltskontrollmöglichkeiten im Vergleich zu einer kameralistischen Rechnung zurückführte. Für sie bedeute EPSAS „Transparenz und damit Wissen für die Abgeordneten und die Möglichkeit, gezielte Fragen zu stellen [...] sowie vertiefte Rechenschaftspflicht der Behörden gegenüber dem Steuerzahler, EPSAS bringt den Steuerzahlern viele Einsichten.“ Dank EPSAS seien Demokratie und Rechenschaftspflicht nicht nur pro forma erfüllt. Im Hinblick auf Deutschland betonte Dr. Gräßle, keine EPSAS zu haben, bedeute, nicht zu wissen, welche Probleme man habe und somit auch, nicht frühzeitig handeln zu können. Gerade wegen der föderalen Struktur Deutschlands sei für die Politiker Transparenz im Sinne einer Gesamtschau der Probleme wichtig, um die volle Verantwortung für den Handlungsbedarf übernehmen und sich nicht mit Teilverantwortungen herausreden zu können. Mit einer vollständigen Erfassung der Vermögensgegenstände und vor allem auch der Schulden im Rahmen der doppischen EPSAS käme Druck auf das Gesamtsystem; je früher die Debatte über die Finanzierung der zukünftigen Lasten angefangen werde, desto besser, so Dr. Gräßle. Während das flammende Plädoyer von Dr. Gräßle für EPSAS auf breite Zustimmung im Publikum stieß, wunderte sich der/die ein/e oder andere Zuhörer/in darüber, dass Dr. Gräßle im Zusammenhang mit der Rechnungslegung der EU-Kommission stets von EPSAS sprach, obwohl es EPSAS in Form verbindlicher Einzelstandards noch gar nicht gibt und die EU-Kommission tatsächlich ihren Abschluss „auf der Grundlage der Periodenrechnung [nach den europäischen Rechnungslegungsregeln], die den IPSAS (International Public Sector Accounting Standards) folgen“, erstellt (Konsolidierte Jahresrechnung der Europäischen Union 2017). Ich persönlich mutmaße hinter dieser sprachlichen Ungenauigkeit taktisches Kalkül: Einerseits lässt sich mit einem etablierten System besser für Neuerungen werben als mit etwas noch nicht Existentem und zum anderen wurde auf diese Weise die Nennung der in Deutschland jenseits der Wirtschaftsprüfer auf große Ablehnung stoßenden IPSAS vermieden.

Klaus-Heiner Lehne, Präsident des Europäischen Rechnungshofs, knüpfte in seinem Vortrag direkt an das EPSAS-Plädoyer von Dr. Gräßle an und ergänzte, dass es auch aus Prüfersicht nützlich sei, externe Standards (IPSAS) zu haben, die an die Bedürfnisse und Besonderheiten der EU angepasst werden. Zwar seien in der EU zu Beginn der Umstellung erhebliche Investitionen für IT und personelle Expertise notwendig gewesen und die Umstellung habe auch mehrere Jahre in Anspruch genommen, dies habe aber – so Lehne – ein deutlich besseres, d.h. transparenteres und vollständigeres, Bild der EU-Verhältnisse sowie auch eine enorme stetige Verbesserung des EU-Finanzmanagements herbeigeführt. Lehne begrüßte die bisherigen Maßnahmen auf EU-Ebene in dem EPSAS-Projekt, kritisierte aber gleichzeitig, dass das Projekt aus seiner Sicht nicht mit allzu großer Geschwindigkeit vorangetrieben werde, insofern erwarte er von der alten Kommission auch keine dramatischen Schritte mehr. Er hoffe aber, dass es nicht wieder einer Staatsschuldenkrise bedarf, um den Impetus für EPSAS auszulösen. Auf lange Sicht werde sich allerdings der Übergang zur kaufmännischen Rechnungslegung nicht mehr aufhalten lassen. Deshalb empfahl er Deutschland, die ablehnende Haltung aufzugeben und EPSAS aktiv mitzugestalten, so lange dies noch möglich ist. „Aus EPSAS ausklinken, hieße, jeden Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung zu verlieren.“ Ein GEXIT bei EPSAS sei nicht hilfreich, so Lehne.

Dr. Matthias Heider, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU) und des Wirtschaftsausschusses, referierte über die Sicht eines Bundestagsabgeordneten auf EPSAS. Er selbst sehe die Vorteile der Doppik und auch der EPSAS, was er am Beispiel der Rüstungsgüter verdeutlichte. Angesichts der hohen Transparenzvorteile müssten eigentlich alle Abgeordneten EPSAS stürmisch begrüßen. Es gäbe allerdings – so Dr. Heider überspitzt – 708 Parlamentarier, die anderer Meinung seien. Zu Recht bezeichnete Dr. Heider die parlamentarische Mehrheitsposition in Deutschland im internationalen Vergleich als „Minderheitsposition“, die zukünftig einem starken Reformdruck ausgesetzt sein werde. Bereits jetzt müsse sich der Bund immer stärker für das Festhalten an der Kameralistik rechtfertigen, nicht zuletzt auch, weil die Kommunen mehrheitlich bereits die Doppikumstellung vollzogen haben. In Einklang mit Lehne propagierte er: „Deutschland sollte sich aktiv am Entwicklungsprozess der EPSAS beteiligen, um die Berücksichtigung wichtiger Grundsätze einer ordentlichen öffentlichen Rechnungslegung sicherzustellen. Eine „Empty-Chair-Politik“ aus Protest ist keine Option.“ Allerdings sprach sich Dr. Heider gegen einen EPSAS-Rechtsakt der EU-Kommission aus. Sobald ein solides EPSAS-Konzept steht, sollten EPSAS-Einzelstandards durch einen Rechtsakt im Deutschen Bundestag und -rat umgesetzt werden.

Mit viel Spannung war der Vortrag von Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), erwartet worden, der sich in einem Interview in „Der neue Kämmerer“ in 2018 erstmals öffentlich positiv im Hinblick auf die EPSAS positioniert hatte. Gatzer nahm jedoch gleich zu Beginn des Vortrags vorweg, dass er das Publikum enttäuschen müsse, er sei nicht Feuer und Flamme für EPSAS. Zwar habe er gewisse Sympathien für Transparenz im Bundeshaushalt, ob EPSAS am Schluss hierzu einen Beitrag leisten können, wisse er jedoch nicht. Dass es an seiner eigenen Überzeugung nicht fehle, machte er mehrfach deutlich, bspw. mit Verweis auf den in 2010 im Parlament gescheiterten Versuch, eine Erweiterte Kameralistik auf Bundesebene einzuführen. Er verdamme EPSAS nicht und glaube an die Vorteile, die EPSAS mit sich bringen könnten, es sei ihm aber bisher noch nicht gelungen, alle Beteiligten zu überzeugen und mitzunehmen: „Ein neues Rechnungslegungssystem kann schließlich aber nur dann erfolgreich umsetzt werden, wenn es von allen Beteiligten – einschließlich dem Deutschen Bundestag - akzeptiert wird.“ Der Haushaltsausschuss des Bundestages habe mehrfach, auch mit den Stimmen der Oppositionsparteien, zum Ausdruck gebracht, dass man keine verpflichtende Umstellung auf ein anderes System wolle, weil man mit der Kameralistik gut zu Recht komme, zusätzlich zum Bundeshaushalt schon viele Berichte habe, aus denen man unterschiedlich gelagerte Informationen entnehmen könne und kein Mehr an Transparenz brauchen würde. Das EPSAS-Projekt sei aus diesen Gründen nicht die oberste Priorität des Haushaltsausschusses. Ein wenig widersprüchlich argumentierte Gatzer dann aber, die „gewisse Skepsis“ bestehe nicht gegenüber mehr Transparenz und Nachhaltigkeit, sondern dahingehend, ob das neue Instrument EPSAS geeignet ist, das alles tatsächlich zu leisten. Wenn es gelänge, den Mehrwert von EPSAS aufzuzeigen, dann könnte man auch die Parlamentarier überzeugen, so Gatzer. Für ihn sei es essentiell, in den Arbeitsgruppen den konstruktiven, aber auch kritischen Dialog weiterzuführen; eine Nicht-Beteiligung Deutschlands hält er ebenfalls für falsch. Im völligen Widerspruch zur wissenschaftlichen Evidenz stand schließlich Gatzers abschließende These, Rechnungslegungssysteme könnten – unabhängig davon, ob sie doppisch oder kameralisitsch ausgestaltet sind – weder Krisen verhindern noch politische Entscheidungen beeinflussen oder abhalten. Auch aus der „Praxis“ wurde Gatzer in der anschließenden Podiumsdiskussion eines Besseren belehrt. Dr. Makaronidis wies etwa darauf hin, dass die im EU-Abschluss ausgewiesenen Pensionsrückstellungen sehr wohl Einfluss auf das Management- und Steuerungssystem hätten und die Beitragssätze auf dieser Grundlage angepasst würden. Auch mutmaßte er, dass Griechenladen die Staatsschuldenkrise so nicht erlebt hätte, wenn es eine gescheite Doppik und einen ordnungsmäßigen und geprüften Jahresabschluss gehabt hätte. Dr. Gräßle wies ferner bereits in ihrem Vortrag darauf hin, dass der EU-Abschluss im Rahmen der Austrittsverhandlungen mit Großbritannien im Zuge der Bestimmung der Austrittsgebühr als Kommunikationsgrundlage genutzt wurde.

Philipp Häfner, Direktor beim Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, berichtete von der Umstellung auf die Doppik in der Freien und Hansestadt Hamburg aus Sicht eines Landesrechnungshofs und darüber, was andere von den Hamburger Erfahrungen lernen können. Als positiven „Nebeneffekt“ der Doppikeinführung führte Häfner an, dass die Doppik eine Verwaltungsmodernisierung in Gang gebracht habe, Doppik sei sozusagen das Windows für die Verwaltung. Was man aber gelernt habe – und, wovon auch allen anderen abzuraten ist – sei, dass ein „minimalinvasiver Ansatz“ in Form einer Überleitung von der Kameralistik auf die Doppik in der Praxis nicht funktioniere, weil die Kameralistik nicht systematisch zahlungsstromorientiert sei. Umgekehrt könne aber aus der doppischen Buchhaltung das Zahlungsstromsystem mitbedient werden. In diesem Sinne empfahl Häfner sehr überzeugend eine doppelte Buchführung als Grundsystem, aus der man eine Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung aufstellen könne, aus der man aber auch – sofern man bspw. für die Haushaltsplanung und -kontrolle die Kameralistik beibehalten wolle – das Zahlungsstromsystem mitbedienen könne.

In der anschließenden Podiums- und Plenardiskussion nahmen neben den Vortragenden (mit Ausnahme von Dr. Heider) die beiden Parlamentarier Christoph Meyer, MdB, Mitglied des Haushaltsausschusses (FDP) und Stefan Schmidt, MdB, Mitglied des Finanzausschusses (B‘90/Die Grünen), Fraktionssprecher für Kommunalfinanzen sowie Bernhard Schatz, Rechnungshof Österreich und Mitglied des IPSASB, teil.

Dr. Gräßle nutzte die Podiumsdiskussion, um noch einmal ihren Unmut über die deutsche Isolation innerhalb der EU zu äußern. Sie halte das Erschrecken der Parlamentarier mit den mutmaßlich hohen Umstellungskosten für unfair, und auch die Sorge, die EPSAS-Einführung würde das Budgetrecht des Bundestags gefährden, wies sie mit der Klarstellung zurück, die Haushaltsaufstellung sei nicht Bestandteil des EPSAS-Projekts. Dr. Gräßle zeigte sich „maßlos enttäuscht“ von dem Bericht des Bundesrechnungshofs von 2017; das deutsche System habe die Füße in Beton und man müsse einen Entscheidungsdruck herstellen, sonst sei die Demokratie unglaubwürdig. Deutschland solle nicht länger im Bremserhäuschen stehen und die Absicherung des EU-Haushaltes aufhalten. Sie würde sich wünschen, dass der Deutsche Bundestag endlich den notwendigen Schritt mitgeht.

Gatzer merkte man in der Diskussion einmal mehr an, wie schwer sich das BMF mit der Aufgabe tut, den EPSAS-Dialog auf EU-Ebene konstruktiv zu begleiten, während im Haushaltsausschuss die EPSAS in der Breite abgelehnt werden bzw. hieran kein Interesse besteht: „Der Haushaltsauschuss ist maßgeblich und sie sagen: „Wollen wir nicht haben. [...] Die Nachfrage [nach EPSAS] ist nicht vorhanden. Der Deutsche Bundestag ist unser Kunde. Das muss ich zur Kenntnis nehmen“. Von Bundesfinanzminister Scholz habe Gatzer zwar die Unterstützung für das EPSAS-Projekt, in diese Richtung solle er weiterarbeiten, aber auch Scholz stelle fest, dass die weit überwiegende Mehrheit skeptisch ist; zudem habe er im Moment andere Probleme.

Meyer berichtete, dass die FDP durchaus für doppische Ansätze Sympathien habe. Als Jurist sei er aber in dem EPSAS-Projekt auf die Ermächtigungsgrundlage fokussiert; aus seiner Sicht liege die Kompetenz für die verbindliche Doppikeinführung nicht bei der EU. Der aktuelle Weg der EU, ohne Klärung der rechtlichen Grundlage mit einer Art Selbstermächtigung zu arbeiten, habe die Kritik noch verstärkt.

Lehne entgegnete dem, die Rechtsgrundlagendiskussion helfe nicht weiter. Aus Sicht der EU sei die Grundlage gegeben, das Parlament sei in der Mehrheit für EPSAS, im Rat kämen nur von Deutschland und den Niederlanden noch Bedenken, die aber wegen der Mehrheitsentscheidung im Zuge einer Abstimmung nicht ins Gewicht fallen würden und eine Klage vor dem EuGH würde nach Lehnes Prognose nicht erfolgreich sein. „Das Ding läuft. IPSAS stehen schon in der Empfehlung der Kommission. Mitgliedstaaten führen IPSAS bereits ein.“ Der Zug sei mit jedem Tag, der verloren würde, weiter abgefahren und die Chance, HGB-Grundsätze innerhalb der EPSAS zu implementieren, würde sich weiter verringern. „Denn wenn alle anderen es schon eingeführt haben, dann sind IPSAS eine gute Grundlage. Mitsingen und mitgestalten. Es kommt dann, wie wir es nicht haben wollen. Die anderen werden sich das Ding fein gestalten, Kompromisse werden gemacht, aber wir werden unsere Probleme damit haben.“

Schatz berichtete von der bereits erfolgten und, was die politischen Abstimmungsprozesse angeht, reibungslosen Doppikumstellung in Österreich. Dass der Beschluss zur umfassenden Modernisierung des Planungs- und Berichtswesens im Parlament einstimmig gefasst wurde, führte Schatz insbesondere darauf zurück, dass Österreich – anders als Deutschland – seit über 50 Jahren nach kameraler Rechnung ein Defizit auswies und somit einem starken Reform- und Leistungsdruck ausgesetzt war. Schatz zeigte sich überzeugt von den Vorteilen, die mit der Doppikeinführung einhergegangen sind, räumte aber gleichzeitig ein, dass es nicht funktioniere, einer großen Institution neue Denkmuster über Nacht beizubringen, sowie dass Fehlertoleranz und viel Geduld erforderlich seien und man sich den Nutzen der Doppik hart erarbeiten müsse. Das Österreichische Parlament habe sich anfangs schwer mit der Interpretation der doppischen Zahlen getan, aber das Thema wachse stetig, es gebe eine Lernkurve. Schatz forderte Deutschland auf, sich nicht auf den soliden (kameralen) Haushaltszahlen auszuruhen und zweifelte die Resilienz, Krisenfähigkeit und Analysefähigkeit des deutschen (kameralen) Systems an. Er empfahl, Gespräche frühzeitig, mit der Erkennung erster Symptome zu beginnen, und nicht erst, wenn die Krankheit schon ausgebrochen ist. Ähnlich argumentierte Dr. Gräßle: „Entweder warten wir, bis wir pleite sind oder wir machen es vorher.“

Der zweite Teil der Tagung widmete sich dem deutschen Beitrag aus Sicht von Aufstellern, Berufsstand und Wissenschaft. Dr. Alexandre Makaronidis, bis Dezember 2018 Referatsleiter der Task Force EPSAS bei Eurostat, gab zunächst ein Update zu den jüngsten Entwicklungen im EPSAS-Projekt. Anschließend äußerte Dr. Makaronidis noch einige persönliche Ansichten, die als dezidierter, höflicher Aufruf an den Bund zu verstehen waren, sich von der alt hergebrachten Denkweise der Kameralistik zu lösen und sich der globalen Entwicklung hin zur Doppik anzuschließen. Das EPSAS-Projekt sei bereits sehr weit vorangeschritten, die meisten Mitgliedstaaten hätten bereits Initiativen ergriffen und auch in den Niederlanden gäbe es aktuelle Entwicklungen. Deutschland sei das einzige Land, das noch zögere. Aus seiner Sicht brauche eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland Vertrauen und EPSAS sei in der Lage, dieses Vertrauen zu schaffen.

Hans Hinrich Coorssen, Senatsdirektor a.D. und bis Oktober 2018 Haushaltsdirektor der Freien und Hansestadt Hamburg, referierte über EPSAS aus Sicht der Aufsteller, in diesem Fall der Freien und Hansestadt Hamburg, die bereits ihre Rechnungslegung sowie auch die Haushaltsplanung auf die Doppik umgestellt hat. Coorsens Vortrag setzte an bei der Sorge der Parlamentarier, ihr Budgetrecht könne durch die EPSAS-Einführung gefährdet werden und wies sehr sorgfältig nach, dass durch die Art der Rechnungslegung das Budgetrecht weder formal noch materiell beeinträchtigt werde, möglicherweise nicht mal tangiert würde. Im Rahmen seiner „[w]esentliche[n] Wünsche an EPSAS aus Sicht eines Planaufstellers“ propagierte er die Einführung einer doppischen Schuldenbremse und eines doppischen Haushaltsausgleichs und zeigte am Beispiel von Hamburg, wie dieses Modell – anders als von Gatzer behauptet – politische Entscheidungen im Sinne der intergenerativen Gerechtigkeit positiv beeinflussen kann. Coorsen warb in diesem Zuge – ähnlich wie bereits Häfner – für einfache und pragmatische EPSAS. Bspw. setzte sich Coorsen in Einklang mit dem Hamburger Modell für Konstanz in den Bewertungsansätzen ein (u.a. durch Fixierung des Abzinsungssatzes für Pensionsrückstellungen), weil extreme Schwankungen von Wertansätzen die Erfolgsaussichten gefährdeten, zumindest jedenfalls die Kommunikationen erschweren würden. Auch Urlaubsrückstellungen vermitteln aus seiner Sicht in einem bspw. städtischen Abschluss wie dem der Freien und Hansestadt Hamburg keine wichtigen Informationen und sind deshalb verzichtbar. Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass aus meiner persönlichen Sicht diese Form des „cherry pickings“ für EPSAS nicht wünschenswert ist, weil einzelfallbedingte Abweichungen innerhalb Europas zu einer starken interessengetriebenen politischen Einflussnahme und Durchlöcherung des Bilanzierungssystems führen würden und der durch die Doppik gewonnene Informationsvorteil damit teilweise wieder zunichte gemacht würde.

WP StB Thomas Müller-Marqués Berger, EY, Vorsitzender der Public Sector Group bei Accountancy Europe (ACE), IPSASB CAG Chair sowie Mitglied des IDW ÖFA, gab die Sichtweise des nationalen und internationalen Berufstands der Wirtschaftsprüfer auf EPSAS wieder. Aus Sicht der Wirtschaftsprüfer seien internationale Standards aufgrund der global vernetzten Märkte unerlässlich, EPSAS – als europäische Interpretation der IPSAS – seien ein erster Schritt dorthin, würden aber nur als Zwischenlösung auf dem Weg zu global einheitlichen Standards gesehen. Müller-Marqués Berger kritisierte implizit die starke Politisierung der EPSAS-Debatte in Deutschland, politischer Einfluss reiche weder aus, noch solle er die Standardsetzung dominieren. Im Vordergrund sollten technische Expertise und inhaltliche Diskussionen stehen. Mit dem Zitat „Wer EPSAS gestalten will, muss IPSAS gestalten!“ rief Müller-Marqués Berger die deutschen Stakeholder indirekt dazu auf, in Kommunikation mit dem IPSASB zu treten und sich an dessen Standardsetzungsprojekten zu beteiligen. Denn, wie Dr. Makaronidis in der späteren Diskussion andeutete, werden sich die EPSAS vermutlich am Ende doch recht nah an den IPSAS orientieren. Müller-Marqués Berger brachte schließlich noch einen anderen wichtigen Punkt zur Sprache, der in der Diskussionsrunde am Vormittag bereits angestoßen wurde: International diskutiere man schon längst nicht mehr über den Nutzen der Doppik, sondern über die Frage, was man mit den doppischen Daten anfangen kann. Die Bereitstellung der doppischen Daten sei – so Müller-Marqués Berger – der Beginn und nicht das Ende (in Dr. Gräßles Worten: „die Untergrenze der Transparenz“). Die Aufsteller seien in der Bringschuld, die Daten so aufzubereiten, dass Sie von den Adressaten, insbesondere den Abgeordneten sowie den Bürgern, auch verstanden und verarbeitet werden können.

Prof. Dr. Dennis Hilgers, Johannes-Kepler-Universität, Linz und Dr. Ferdinand Schuster, Geschäftsführer des Instituts für den öffentlichen Sektor e.V., KPMG, Berlin gaben abschließend einen Überblick über die Erkenntnisse aus ihrer Gemeinschaftsstudie „Sind die EU-Staaten bereit für die EPSAS?“. Dabei zeigte sich, dass „Deutschlands offizielle skeptische Haltung zur EPSAS-Einführung [...] als losgelöst von den eher pragmatischen Einstellungen der meisten anderen Länder [erscheint]“. Zudem wurde die These aufgestellt, „[e]ine Reform des öffentlichen Rechnungswesens ohne Einbeziehung des Haushaltswesens führ[e] zu einer Fehlentwicklung“.

In der anschließenden Podiums- und Plenardiskussion nahmen neben den Vortragenden noch Jörg Botti, bis November 2018 Leiter der Abteilung Finanzen/Controlling/Betriebswirtschaft bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV), Dr. Birgit Frischmuth, Hauptreferentin im Dezernat Finanzen, Deutscher Städtetag sowie WP StB CPA Dr. Sebastian Heintges, PwC, bis Dezember 2018 Mitglied des IPSASB, teil.

Dr. Frischmuth korrigierte zunächst das vorherige Zitat von Müller-Marqués Berger dahingehend, dass man EPSAS gestalten müsse, wenn man IPSAS verhindern wolle und traf damit den Nerv derjenigen in Deutschland, die zwar eine bundesweite Doppikeinführung favorisieren, aber die IPSAS in Reinform für ungeeignet halten. Dr. Frischmuth berichtete außerdem, dass die Kameralistik beim Städtetag zwar keine Rolle mehr spiele, sich die Politik aber immer noch mit der Akzeptanz der Doppik und bspw. mit dem Arbeiten und Steuern mit Kennzahlen schwertue. In Einklang mit Müller-Marqués Berger, der die adressatenorientierte Kommunikation und Aufbereitung der Daten als integralen Bestandteil des EPSAS-Projekts sieht („Wer soll es lesen und wozu? Was ist mit dem Kapitalmarkt? Was ist mit Ratings?“), warb auch sie aus kommunaler Sicht dafür, dass die Zahlen aufbereitet werden müssten, um nützlich zu sein.

Dr. Heintges führte im Podium vor Augen, dass die Kameralistik in der kaufmännischen Rechnungslegung schon vor mehreren hundert Jahren durch die Doppik abgelöst wurde, und in Folge dessen bspw. Unternehmen stark unter Druck stehen, die Pensionsverpflichtungen auszufinanzieren, was – wie Botti zuvor anmerkte – bei den derzeit nicht abgebildeten Sozialversicherungen politisch undenkbar wäre. Dr. Heintges kritisierte neben der Unvollständigkeit der Passivseite an der Vermögensrechnung des Bundes auch, dass etwa Grundstücke, anders als in der unternehmerischen Bilanz, nicht bewertet, sondern in Hektar angegeben würden.

In Reaktion auf die mehrfach kritisch angemerkte Passivität des BMF in der EPSAS-Diskussion bemerkte Dr. Finken, Referent im BMF, im Rahmen einer Wortmeldung, dass in Deutschland sehr stark reguliert sei, wer was wie wann auf EU-Ebene sagen dürfe und das BMF eben auch nur in diesem starren Rahmen agieren könne. Das Grundsatzpapier des Bund-/Länder-Arbeitskreises EPSAS dokumentiere, dass es die auf der Tagung mehrfach geforderte aktive Mitwirkung Deutschlands gäbe. Dennoch vertrat Müller-Marqués Berger die Meinung, es fühlten sich bei der von Dr. Finken hervorgehobenen Bund-Länder-Abstimmung nicht alle eingebunden, es sei nicht für alle transparent, wie man sich beteiligen könne. Er vermisse einen transparenten Konsultationsprozess zur Erarbeitung einer geschlossenen deutschen Position, mit dem man mutmaßlich die Akzeptanz der deutschen Position auf der EU-Arbeitsebene erhöhen könnte.

Einig waren sich alle darin, dass eine aktive Mitwirkung in der EPSAS-Gestaltung unabdingbar ist und sich Deutschland bewegen muss. Allerdings waren zumindest unter den Vortragenden und im Podium, vermutlich aber auch unter den Zuhörer/innen, überwiegend Befürworter/innen der Doppik vertreten, die ohnehin schon überzeugt sind. Dr. Gräßle fragte sich in diesem Sinne, ob sie nicht wieder „vor denen [predige], die schon katholisch sind“, war aber immerhin überrascht über das vergleichsweise große Auditorium, das jedoch im zweiten Teil der Tagung am Nachmittag schon arg geschrumpft war. Für die Zukunft wäre es aus meiner Sicht wichtig, die Expertise und Argumente stärker zu denjenigen zu bringen, die noch nicht überzeugt sind. Dabei ist sicher auch eine gute Kommunikationsstrategie von zentraler Bedeutung.

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 13. Februar 2019

„If you change nothing, nothing will change.” (Tony Robbins) Lange Zeit hat sich die deutsche Politik vehement gegen eine bundesweit verpflichtende Einführung der doppelten (kaufmännischen) Buchführung im öffentlichen Sektor gewehrt. Als Gründe gegen die von der EU-Kommission geplante Einführung der sog. European Public Sector Accounting Standards (EPSAS) werden unter anderem der fragliche Nutzen im Verhältnis zu den erwarteten hohen Kosten, die Gefährdung des Budgetrechts des Parlaments, die fehlende Rechtsgrundlage für eine EU-Harmonisierung sowie die faktische Abgabe der Normsetzungskompetenz an ein privatwirtschaftlichen Gremium (IPSASB) angeführt. Auch ist man der Meinung, dass sich das bestehende kameralistische System bewährt habe und es deshalb keinen Grund für eine Änderung gäbe. In einem Grundsatzpapier des Bund / Länder-Arbeitskreises EPSAS, das für Kommunikationszwecke auf EU-Ebene auch in englischer Sprache vorliegt, wurde in diesem Sinne konstatiert, dass „[d]ie in Deutschland bewährte Entscheidungsfreiheit bezüglich der kameralistischen und doppischen Systeme der Haushaltsplanung, -führung und Rechnungslegung [...] bestehen bleiben [müsse]“.

Allerdings darf dieses Grundsatzpapier nicht dahingehend missverstanden werden, dass es zu dieser Thematik nicht auch andere Position in Deutschland gäbe. Bspw. sprechen sich einige Bundesländer, die bereits die Umstellung auf die Doppik vollzogen haben, insbesondere Hessen und Hamburg, für die Einführung harmonisierter EU-Standards auf Basis der doppelten Buchführung aus und stehen der im Grundsatz ablehnenden und bei der Gestaltung der EPSAS passiven Haltung des Bundes kritisch gegenüber. Jedoch lehnen auch die EPSAS-Befürworter sich überwiegend gegen eine zu starke Orientierung an den IPSAS, die zentrale deutsche Bilanzierungsgrundsätze, wie das Vorsichtsprinzip und das Objektivierungsgebot, missachten. Dass die vertretenen Positionen zwischen den einzelnen Akteuren gegensätzlicher kaum sein könnten, wurde in einem Schlagabtausch zwischen dem Bundesrechnungshof und dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) vor gut einem Jahr deutlich. Während der Bundesrechnungshof in einem Bericht aus dem Jahre 2017 die Bundesregierung aufforderte, „auf europäischer Ebene ihr politisches Gewicht ein[zu]bringen und die verbindliche Einführung von EPSAS in Deutschland [zu] verhindern“, propagiert das IDW die Einführung einer Version von EPSAS, die sich möglichst weitgehend an den IPSAS orientiert. Man wird sich die entgegengesetzten Positionen unter anderem damit erklären können, dass internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die sowohl über IFRS-/IPSAS-Fachwissen als auch -Netzwerke verfügen, von der EPSAS-Einführung in Form von Beratungs- und Prüfungsmandaten finanziell profitieren würden, der Bundesrechnungshof sich hingegen mutmaßlich das erforderliche Know-How eben von diesen Gesellschaften teuer einkaufen müsste.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat in dem Prozess bislang eine schwierige, geradezu widersprüchliche Rolle einnehmen müssen: Als Sprachrohr der Regierung waren die BFM-Vertreter einerseits dazu angehalten, die Ablehnung des Bundes auf EU-Ebene zu kommunizieren, gleichzeitig wurden sie aber von Bundestag und Bundesrat dazu aufgefordert, an der Gestaltung der EPSAS aktiv mitzuwirken und die Einhaltung zentraler deutscher Rechnungslegungsgrundsätze zu gewährleisten. Auf die Gefahr, dass man mit einer Ablehnungshaltung als konstruktiver Partner auf EU-Ebene nicht ernst genommen wird, wurde unlängst hingewiesen. Insofern darf es nicht überraschen, dass gemäß einem Bericht des BMF an den Bundesrechnungshof vom 1. Juni 2017 „Eurostat nicht bereit sei, den zentralen deutschen Forderungen hinsichtlich der Bilanzierungsgrundsätze zu folgen“, weil „Deutschland die Einführung von EPSAS grundsätzlich ablehne und dem Gesetzesentwurf ohnehin nicht zustimmen werde“.

Auf EU-Ebene gibt es zwar viel Gehör, aber tatsächlich wenig Verständnis für die bundesdeutsche Position. Die Europaabgeordnete und Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses Dr. Ingeborg Gräßle berichtete in einem Gesprächskreis auf der Jahrestagung der European Accounting Association (EAA) in 2018, das EPSAS-Projekt würde nach ihrer Wahrnehmung in Deutschland wie eine Sekte behandelt, bei der sich keiner involvieren wolle und hierzu – dies sei das Problem – auch niemand gezwungen werden könne. Alexandre Makaronidis, bis vor kurzem Leiter der Task Force EPSAS bei Eurostat, prangerte – ebenfalls in diesem Gesprächskreis – das Kostenargument der Deutschen als vorgeschoben an und bemerkte zudem, die Kostenschätzung würde auf falschen Annahmen beruhen.

Mit dem Wechsel politischer Entscheidungsträger in 2018 scheint sich das Blatt nun doch noch zu wenden: Während Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, unter dem damaligen Finanzminister Schäuble bei zahlreichen öffentlichen Auftritten noch eine oppositionelle Position in der EPSAS-Diskussion bezog und für die Einführung einer Erweiterten Kameralistik eintrat, zeigte er sich in einem Interview vom 21. Juni 2018 in der Zeitung „Der Neue Kämmerer“ deutlich offener: „Ich glaube, dass EPSAS für alle Beteiligten einen Mehrwert haben kann. Es führt zu mehr Transparenz und damit auch zu zusätzlichen Informationen [...]. Unterm Strich denke ich, dass die Vorteile überwiegen“. Nicht ganz unerheblich an diesem Richtungswechsel ist möglicherweise die Tatsache, dass der neue Bundesfinanzminister Olaf Scholz als ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg bestens vertraut mit der doppischen Rechnungslegung und ihren Transparenzvorteilen sein dürfte. Eine weitere zentrale Rolle in der EPSAS-Debatte könnte auch der neue Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ralph Brinkhaus einnehmen. Brinkhaus, der vor seiner politischen Karriere als Steuerberater in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft arbeitete, hatte schon während seiner Zeit als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Themen Haushalt, Finanzen und Kommunalpolitik die Vorteile der Doppik hervorgehoben und sich aufgeschlossen gegenüber dem EPSAS-Projekt gezeigt. Sowohl Gatzer als auch Brinkhaus haben die Notwendigkeit betont, den nunmehr unaufhaltbaren EPSAS-Prozess aktiv mitzugestalten. Ob das Thema, wie von Gatzer erhofft „in dieser Legislaturperiode ein bisschen mehr Zustimmung und Akzeptanz erfährt“, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich gilt: „Besser spät als nie!“. Die Frage ist aber hier, ob das „window of opportunity“ noch weit genug offen ist, der „wind of change“ also noch rechtzeitig kommt.

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 11. Februar 2019

Im November 2018 hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Zuge der Verabschiedung des neuen Haushalts verkündet, dass die sog. schwarze Null auch im Jahr 2019 steht, d.h., dass – wie schon in den vergangenen fünf Jahren – die erwarteten Einnahmen ausreichen werden, um die geplanten Ausgaben zu finanzieren und somit keine neuen Schulden aufgenommen werden müssen.

Dies ist rein formal betrachtet zunächst eine gute Nachricht im Hinblick auf die Einhaltung der nationalen und europäischen Fiskalregeln. Inhaltlich bedeutet der Verzicht auf die Aufnahme neuer Schulden, dass zukünftige Generationen nicht belastet werden. Ein näherer Blick in die Art und Weise der Berechnung der „schwarzen Null“ trübt jedoch das Bild, wie zuletzt in der vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) herausgegebenen Unstatistik des Monats November 2018 hervorgehoben wurde.

Denn es werden bei der Berechnung der „schwarzen Null“ nach der statistischen Rechnung des Bundes nur tatsächlich fließende Einnahmen und Ausgaben berücksichtigt, nicht aber Neuverschuldungen, die bereits verursacht wurden, sich aber erst in der Zukunft in Ausgaben niederschlagen werden. Als aktuelles Beispiel lässt hier neben den oft zitierten Pensionsverpflichtungen die kürzlich von der Bundesregierung angekündigte zukünftige Mitfinanzierung des Kohleausstiegs anführen (siehe auch: Verschlingt der Kohleausstieg die „schwarze Null“?). Bilanzierungspflichtige Unternehmen müssen für solche Schulden, die hinsichtlich Höhe und/oder Zeitpunkt ungewiss sind, Rückstellungen bilden, und zwar unabhängig davon, ob sie nach dem (deutschen) Handelsgesetzbuch oder den International Financial Reporting Standards (IFRS) ihre Bücher führen. Würde man beim Bundeshaushalt auch diese „verdeckten Schulden“ berücksichtigten, so läge nach Berechnung der Stiftung Marktwirtschaft für das Jahr 2018 die „tatsächliche“ Staatsverschuldung (Staatschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt) bei knapp 200% und nicht, wie vom Bund angegeben, bei 68%. Neben der fehlenden Berücksichtigung von Rückstellungen kritisiert die Unstatistik des Monats November 2018 auch, dass die in der kaufmännischen Rechnungslegung gebotene gewinnmindernde Abschreibung, die den Wertverlust von Vermögenswerten dokumentiert, bei der Berechnung der „schwarzen Null“ außer Acht bleibt. Die Notwendigkeit der regelmäßigen Reparatur und Erneuerung von Infrastruktur, wie Schulen, Autobahnen und Brücken, werde bei der derzeitigen Berechnungsweise ignoriert, so die Autoren der Unstatistik. Aber auch international wird zunehmend Kritik an dem kameralen Rechnungslegungssystem des Bundes laut: In einem Artikel der New York Times vom 20. Januar 2015 wurde die fehlende Berücksichtigung des potenziellen Verlustes aus Griechischen Staatsanleihen in der Bundesrechnung beklagt und auf die „international wenig bekannte Tatsache“ aufmerksam gemacht, „dass die Deutschen nicht die IPSAS [International Public Sector Accounting Standards] verwenden und in besonderem Maße undurchsichtige Standards der öffentlichen Rechnungslegung haben“ (Übersetzung der Verfasser).

Undurchsichtig ist neben der kameralen Rechnungslegung zur Ermittlung des Haushaltsergebnisses bzw. der „schwarzen Null“ auch die Berechnung der Defizit- und Schuldenquote gemäß den Maastricht-Kriterien, die an die EU für Zwecke der europäischen Haushaltsüberwachung zu übermitteln sind. Mangels doppelter Buchführung sowie erheblicher Verfahrensunterschiede bei der Datenermittlung auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen können in Deutschland die nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (ESVG) zu ermittelnden Daten nur näherungsweise, durch eine modellhafte Überleitungsrechnung, generiert werden. Während der Bundesrechnungshof aus der Tatsache, dass die Qualität der deutschen Daten auf EU-Ebene bislang noch nicht gerügt wurde, schließt, dass diese den Vorgaben gerecht würden, hat die Deutsche Bundesbank dies unlängst in ihrem Monatsbericht für April 2018 in Frage gestellt.

Undurchsichtig ist schließlich, dass bezüglich des deutschen Schuldenstands drei unterschiedliche Zahlen öffentlich kommuniziert werden. So betrug dieser etwa zum 31. Dezember 2017 nach der Vermögensrechnung des Bundes 1.914,7 Milliarden Euro, nach der Finanzstatistik des Bundes 1.967,3 Milliarden Euro und nach dem ESVG 2.092,8 Milliarden Euro. Unklar verbleibt für die Bürger, welcher Schuldenausweis der richtige ist bzw. ob überhaupt eine der drei Zahlen den tatsächlichen Schuldenstand widerspiegelt. Denn die verdeckten Schulden, die – wo oben ausgeführt – in der Doppik durch Rückstellungsbildung Berücksichtigung finden, werden bei allen drei Regelwerken nicht bzw. nicht vollständig abgebildet. Im Rahmen eines vom Hessischen Rechnungshof organisierten Gesprächskreis in 2015 argumentierte Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, die öffentlichen Schulden in Höhe von ca. 2 Billionen Euro seien in dieser Größenordnung für die Bürger ohnehin unbegreiflich und deshalb würde mehr Transparenz durch einen doppischen (vollständigeren) Schuldenausweis für die Bürger auch nicht zu einem Mehrwert führen.

Wir finden, es ist Aufgabe bzw. Pflicht der Regierung, über die öffentlichen Finanzen so transparent wie möglich zu informieren und Rechenschaft über die Verwendung der Steuergelder abzulegen. Dass diese Aufgabe mittels der Doppik in der Gesamtschau besser erfüllt werden kann als durch die Kameralistik, ist international in der Wissenschaft, aber auch in der Politik mittlerweile weitgehend anerkannt. Wie die Bürger die ihnen zur Verfügung gestellten Informationen dann verarbeiten, sollte in einer Demokratie ihnen selbst überlassen bleiben.

Prof. Dr. Sonja Wüstemann, 08. Februar 2019

Nachdem die Bundesregierung erst im Januar 2019 gemäß dem vorläufigen Abschluss des Bundeshaushalts für das Jahr 2018 einen Überschuss in Höhe von 11,2 Milliarden Euro verkünden konnte, hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz nun, Anfang Februar 2019, im Rahmen der neuen Finanzplanung bis 2023 vor einer Haushaltslücke in Höhe von insgesamt 24,7 Milliarden Euro gewarnt. Ursächlich für diese Lücke sei zum einen ein zu erwartendes schwächeres Wirtschaftswachstum und somit sinkende Steuereinnahmen, zum anderen aber auch für die Zukunft geplante höhere Ausgaben des Bundes. Hierunter fallen bspw. die von der Bundesregierung für den Kohleausstieg bis 2038 kürzlich in Aussicht gestellten und demnächst zu beschließenden 40 Milliarden Euro, die über einen Zeitraum von 20 Jahren an die betroffenen Regionen in Form von Strukturhilfen ausgezahlt werden sollen. Da die Regierung auch in Zukunft an der „schwarzen Null“ festhalten und folglich zur Finanzierung des Kohleausstiegs und anderer Ausgaben keine Neuschulden aufnehmen will, müssen Einsparungen in anderen Bereichen vorgenommen werden, so Scholz im Handelsblatt-Interview vom 31. Januar 2019. Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, welche Bereiche dies sein werden.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff (CDU) sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, es sei „zweitrangig“, „woher der Bund das Geld für die von ihm geforderte Politik [nehme]“. Ähnlich vage äußerste sich Bundeskanzlerin Merkel zur Frage der Finanzierung: „Was zusätzliche und was nicht zusätzliche Mittel sind, kann man überhaupt nicht sagen, weil unsere mittelfristige Finanzplanung im Augenblick, glaube ich, im Jahre 2023 endet, wir hier aber über 2038 sprechen. Das heißt, kein Mensch weiß, was irgendwann einmal die Finanzplanung ist.“ (Zitat aus Thüringer Allgemeine (Illmenau) vom 2. Februar 2019).

Der von Merkel hier angesprochene Finanzplan des Bundes, der die Grundlage für die Verabschiedung der jährlichen Bundeshaushalte bildet, plant die erwarteten zukünftigen Einnahmen und Ausgaben lediglich über einen Zeitraum von fünf Jahren und berücksichtigt hierbei wiederum nur tatsächlich fließende Gelder. Bei den für den Kohleausstieg geplanten Strukturhilfen – sollten sie wie vorgesehen im Rahmen des Maßnahmengesetzes beschlossen werden – handelt es sich jedoch um Verpflichtungen die – wie von Merkel angedeutet –weit über das Jahr 2023 hinaus zukünftige Steuereinnahmen binden werden. Sich jetzt mit dem Argument des langen Planungshorizonts noch keine Gedanken über die Finanzierung machen zu wollen, ist gegenüber den Bürgern, insbesondere den zukünftigen Generationen, unverantwortlich.

Rechenschaft über die Verwendung von Steuereinnahmen legt die Regierung gegenüber den Bürgern im Abschluss des Bundeshaushalts. Dieser wird nach der sog. Kameralistik aufgestellt, d.h., es werden nur die im abgelaufenen Jahr erzielten Einnahmen und getätigten Ausgaben berücksichtigt und nicht bzw. nur sehr unvollständig Schulden, die bereits in der Vergangenheit verursacht wurden, aber erst in der Zukunft Ausgaben nach sich ziehen. So wird der Bundeshaushalt für das Jahr 2019 etwa in Bezug auf den Kohleausstieg nur die ca. 1,5 Milliarden Euro ausweisen, die als Ausgaben im Haushalt 2019 eingeplant wurden. Nicht ersichtlich wird für die Bürger sein, dass bereits Ausgaben in Höhe von 40 Milliarden Euro beschlossen wurden, die von zukünftigen Generationen zu tragen sind und für die sich dann auch zukünftige (an der Entscheidung unbeteiligte) Regierungen anteilig zur Rechenschaft ziehen lassen müssen.

Nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), die von buchführungspflichtigen Unternehmen sowie einigen Gebietskörperschaften in Deutschland angewandt werden, als auch nach den International Public Sector Accounting Standards (IPSAS), die als Grundlage für die öffentliche Rechnungslegung in den EU-Mitgliedstaaten diskutiert werden, wäre im Verursachungszeitpunkt in Höhe des geschätzten diskontierten Erfüllungsbetrags eine Rückstellung zu bilden, weil die Verpflichtung mit Verabschiedung des Maßnahmengesetzes rechtlich voll wirksam entsteht und sich der Bund dann dieser Zahlungsverpflichtung nicht mehr entziehen kann. Man könnte, analog zur Sichtweise des Hessischen Rechnungshofs zu bestimmte Dauerleistungsverpflichtungen (Bemerkungen 2017, S. 95) argumentieren, dass die Strukturhilfen auch den zukünftigen Generationen unmittelbar und in objektivert nachweisbarer Form zu Gute kommen, diese mutmaßlich einer anteiligen Belastung ihrer Haushalte zustimmen würden und folglich eine anteilige Aufwandsbelastung in den Jahren der Nutzenziehung angemessen wäre. Werden aber die finanziellen Mittel, wie derzeit angedacht, vom Bund an die Länder und/oder Kommunen zweckgebunden weitergereicht (und nicht direkt an die betroffenen Bürger), so käme man in einer doppischen Rechnungslegung um den Ausweis der vollen Verpflichtung im Verursachungszeitpunkt nicht herum. Auch in der Vermögensrechnung des Bundes müsste die Verpflichtung bereits in 2019 voll erfasst werden. Der Unterschied zur Doppik besteht aber darin, dass die in der Vermögensrechnung des Bundes ausgewiesenen Schulden keine Auswirkung auf das Haushaltsergebnis haben, während Rückstellungen in der Doppik aufwandswirksam und somit ergebnismindernd gebucht werden. Von einer „schwarzen Null“ kann – legt man (doppische) betriebswirtschaftliche Maßstäbe zugrunde – dann keine Rede mehr sein.


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