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1. Wissenschaftliche Begleitung des EU-Projekts zur Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung (EPSAS-Projekt)

Aktuelle Projekte

Annemarie Conrath-Hargreaves, Richard Pucci und Sonja Wüstemann

In Folge der Staatsschuldenkrise strebt die EU-Kommission seit 2011 die Einführung harmonisierter Rechnungslegungsgrundsätze auf der Basis der kaufmännischen (doppischen) Buchführung für den öffentlichen Sektor in allen EU-Mitgliedstaaten an. Die zunächst intendierte direkte Übernahme der privatwirtschaftlich und transnational entwickelten International Public Sector Accounting Standards (IPSAS) ist jedoch innerhalb der ersten Phase des Reformprojekts wegen der Opposition einflussreicher Mitgliedstaaten gescheitert. Unser Forschungsprojekt setzt bei der zweiten Phase des Reformprojekts an. Konkret wird gezeigt, dass Diskrepanzen bezüglich der Konzeption der öffentlichen Rechnungslegung (Basis für statistische Zwecke versus Berichterstattung über die finanzielle Lage) und widersprüchliche Souveränitätsideologien dazu geführt haben, dass nunmehr die Einführung sog. European Public Sector Accounting Standards (EPSAS) verfolgt wird, die zwar auf den IPSAS basieren, aber auch Raum für EU-eigene Abweichungen erlauben sollen. Die deutlich gestiegen Unterstützung des Projekts seitens der Mitgliedstaaten in der zweiten Reformphase wird auch auf die Wende des Projektziels von der Verbesserung der statistischen Daten hin zu einer Steigerung von Transparenz und Finanzstabilität zurückgeführt. Darüber hinaus wird festgestellt, dass sich Intermediäre aus dem Finanzsektor, wie das IMF und die World Bank, die bei der transnationalen Verbreitung der International Financial Reporting Standards (IFRS) im privaten Sektor eine gewichtige Rolle gespielt haben, aufgrund des Widerstands einflussreicher Mitgliedstaaten gegen die IPSAS bislang nicht aktiv in den Prozess eingebracht haben. Zudem wird als einer der Gründe für die Ablehnung der IPSAS die in einem öffentlichen Rechtssetzungsverfahren als überproportional empfundene Beteiligung von Vertretern des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer herausgearbeitet.

Annemarie Conrath-Hargreaves und Sonja Wüstemann

Im Jahr 2014 hat das International Public Sector Accounting Standards Board (IPSASB) sein erstes speziell für die Bedürfnisse der transnationalen öffentlichen Rechnungslegung zugeschnittenes Rahmenkonzept veröffentlicht. Auch wenn das IPSAS grundsätzlich die Konvergenz mit den International Financial Reporting Standards (IFRS) anstrebt, weicht es unter anderem hinsichtlich der Zwecke vom IFRS-Rahmenkonzept ab, indem es Rechenschaftslegung (accountability) und Entscheidungsnützlichkeit (decision-usefulness) als gleichwertige übergeordnete Zielsetzungen der öffentlichen Rechnungslegung definiert. Unsere qualitativ-empirische Forschungsstudie untersucht, warum sich das IPSASB für die Entwicklung eines spezifischen (von den IFRS abweichenden) Rahmenkonzepts entschieden hat sowie auch den Prozess, der zu einer Aufnahme beider Zwecke geführt hat. Anhand der Analyse der Organisation der privaten transnationalen Standardsetzung für den öffentlichen Sektor und die Involvierung unterschiedlicher Akteure in diesem Prozess demonstriert unsere Studie das Streben des IASB nach gleichzeitig technischer und politischer Legitimität. Darüber hinaus wird gezeigt, dass das IPSASB in seinem Standardsetzungsverfahren in erheblichem Maße auf Individuen mit auf Erfahrung basierendem Fachwissen (experiential expertise) setzt und mit den öffentlichen Konsultationen im Wesentlichen (und lediglich) die Verifizierung der internen Überlegungen und Entscheidungen bezweckt wird. Es wird kritisiert, dass durch die starke Gewichtung des Fachwissens und der damit einhergehenden Überbetonung der technischen Legitimität die (überwiegend nicht fachkundigen) Bürger, die eigentlichen Hauptadressaten von IPSAS-Abschlüssen, zu Lasten der politischen Legitimität vom Standardsetzungsverfahren faktisch ausgeschlossen werden.

 

Annemarie Conrath-Hargreaves, Sonja Wüstemann und Aileen Schubert

Obwohl sich international bereits eine Mehrheit der Länder für eine Einführung der doppelten Buchführung für die Erstellung des jährlichen Abschluss entschieden hat und auch die Europäische Kommission der Ansicht ist, dass die doppelte Buchführung für Zwecke der Rechenschaftslegung bessere Informationen liefert, hält Deutschland bis heute mit Überzeugung an der Kameralistik fest. Eine bundesweite Umstellung auf die doppelte Buchführung, wie sie in vielen andere großen Industrienationen bereits vollzogen wurde, scheiterte in Deutschland bislang stets am politischen Widerstand auf Bundesebene. Auch gegen die von der EU-Kommission geplante Einführung harmonisierter doppischer Bilanzierungsstandards im öffentlichen Sektor der Mitgliedstaaten hat die Bundespolitik sich bislang vehement gewehrt. Vor diesem Hintergrund ist es Ziel unseres Forschungsprojekts, in einem ersten Schritt anhand einer institutionellen Analyse die „Stabilität“ der Kameralistik in der deutschen Verwaltung zu ergründen. In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie es auch in einem stabilen System zu Wandel („disruption“) kommen kann. Hintergrund dieser zweiten Forschungsfrage ist der seit dem Regierungswechsel in 2018 beobachtbare „wind of change“ in der Bundespolitik bezüglich der Doppik im Allgemeinen und der EPSAS im Speziellen.

Abgeschlossene Projekte / Publikationen

Wüstemann, Jens/Wüstemann, Sonja/Conrath-Hargreaves, Annemarie (2016): Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in der Europäischen Union, Baden-Baden: Nomos (Monographie).

Conrath-Hargreaves, Annemarie/Wüstemann, Jens/Wüstemann, Sonja (2016): Forschungsstudie zur Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in der EU – Stand und Perspektiven der Umsetzung von EPSAS aus deutscher Sicht, in: Die Wirtschaftsprüfung (WPg), 69. Jg., S. 1033–1040.

Wüstemann, Sonja/Conrath-Hargreaves, Annemarie (2015): Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung in der EU – Eignen sich IPSAS als Ausgangsbasis für die Gestaltung von europäischen Standards (EPSAS)?, Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (BFuP), 67. Jg., S. 620–642.

Conrath-Hargreaves, Annemarie/Wüstemann, Sonja (2014): Rechnungslegung der öffentlichen Hand in Europa – Harmonisierung durch European Public Sector Accounting Standards, Die Wirtschaftsprüfung (WPg), 67. Jg., S. 1194–1205.

Wüstemann, Jens/Wüstemann, Sonja (2014): EPSAS – Leitlinien zur Gestaltung der europäischen öffentlichen Rechnungslegung, in: Hessischer Rechnungshof (Hrsg.), Entwicklung der öffentlichen Rechnungslegung in Europa: European Public Sector Accounting Standards, Wiesbaden: Kommunal- und Schul-Verlag, S. 585–610.

Wüstemann, Jens/Wüstemann, Sonja (2013): Die Grundsätze ordnungsmäßiger staatlicher Bilanzierung und der Stand der Bilanztheorie, in: Nowak, K. u. a. (Hrsg.), Moderne Finanzkontrolle und Öffentliche Rechnungslegung - Denkschrift für Prof. Dr. Manfred Eibelshäuser, München, S. 579–596.

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